Digitalisierung, Internet of Things, Industrie 4.0 – mit diesen Schlagworten müssen sich Unternehmenslenker auseinandersetzen. Doch leider verstehen die wenigsten kleinen oder mittleren Betriebe, was sich darunter verbirgt steckt. Baris Ergun, der CEO der abas Software AG, verdeutlicht im Interview mit dem Midrange Magazin (MM), was aus strategischer Sicht zu beachten ist, damit ein mittelständischer Betrieb weiterhin wettbewerbsfähig bleiben kann.

MM: Warum ist das Thema Digitalisierung für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) so wichtig?

Ergun: Weil das Thema unterschätzt wird. Viele KMUs leisten sich weder eine F+E Abteilung, noch experimentieren sie systematisch mit neuen Abläufen, Technologien oder gar neuen Geschäftsmodellen. Der Zeitraum, in dem man heute seine Marktposition an einen Mitbewerber verlieren kann, bewegt sich in manchen Industrien im Rahmen von Wochen. In den letzten 15 Jahren sind 52 Prozent der Fortune-500-Unternehmen vom Markt verschwunden! Viele Unternehmer wiegen sich in der trügerischen Gewissheit: Ich mache dieses Business seit 30 Jahren, warum sollte sich ausgerechnet jetzt was ändern?

MM: Welche Auswirkungen hat ein geringer „Digitalisierungsgrad“ für ein Unternehmen?

Ergun: Die Wettbewerbsfähigkeit sinkt, es ist langsamer, es kann mit den Preisen der digital durchorganisierten Mitbewerber nicht mithalten. Allgemein verfügbare Daten, beispielsweise was sich seine Kunden an Neuerungen wünschen, kann es nicht so schnell und effektiv nutzen, wie seine Wettbewerber, die mit dem Kunden einen digitalen Dialog aufgebaut haben und ihn gar in die Entwicklung einbeziehen. Der neue Konkurrent bietet möglicherweise den Endkunden neue, spannende Mehrwerte, wie eine Nachverfolgung von der Auftragserteilung bis zur Anlieferung des bestellten Produkts. Das setzt eine digitale Infrastruktur voraus. Aber für mich ist eine der gefährlichsten und am meisten unterschätzten Auswirkungen: Die Menschen in einem Unternehmen, das aktuelle Technologietrends konsequent ignoriert, werden abgehängt. Stehenbleiben kann verhängnisvoll sein. Umgekehrt hat die Lust an Innovation und Wettbewerb positive Auswirkungen auf die gesamte Unternehmenskultur. Heute ist es wichtiger denn je, als Einzelner und als Unternehmen am Ball zu bleiben.

MM: Wie können mittelständische Unternehmen von den vielen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten profitieren und welche Rolle spielen dabei „Kernsystemanbieter“ wie abas?

Ergun: Um von neuen Technologien und verfügbaren Daten zu profitieren, muss sich ein Unternehmen zuerst fragen: Wie stellen wir sicher, dass wir auch in fünf Jahren noch ein funktionierendes Business haben? Man modelliert also das Geschäftsmodell von morgen. Dazu benötigt man Sparringspartner, beispielsweise Brancheninsider und Technologieberater, die die richtigen Fragen stellen und wissen, was sich im Markt, vor allem bei den Kunden verändert. In diesen Prozess, der aufwendig ist und sich über Monate hinziehen kann, müssen nicht nur alle Ebenen des Unternehmens, sondern auch der Input möglichst vieler Kunden einbezogen werden. Wir Kernsystemanbieter müssen mehr darüber informieren, was die künftigen Herausforderungen in den von uns bedienten Branchen sind und mit welchen Geschäftsmodellen darauf reagiert werden kann. Im zweiten Schritt müssen wir für die Umsetzung dieser neuen vielfach dezentraleren Geschäftsmodelle eher eine offene Plattform mit Apps bereitstellen, als komplexe sperrige Produkte wie früher.

Baris Ergun,
CEO der abas Software AG: „Menschen in einem Unternehmen, das aktuelle Technologietrends konsequent ignoriert, werden abgehängt.“ Quelle: abas Software

MM: Welche Zielsetzungen verfolgt abas mit der „Digital OR Dead“-Kampagne?

Ergun: abas bedient seit fast 40 Jahren mittlere, fertigungsnahe Unternehmen mit 50 bis 2000 Mitarbeitern; das ist der Mittelstand, dem dieses Land seinen Wohlstand verdankt. Das disruptive Element der Digitalisierung ist, dass viele dieser Unternehmen in Gefahr sind, in den nächsten 15 Jahren zu verschwinden, weil sie technologisch den Anschluss verlieren. Wir wollen aufklären. Über Disruption und Digitalisierung liest man bereits sehr viel. Daher nähern wir uns dem Thema in einer maximal verständlichen Sprache, ohne Tech Talk und mit konkreten Vorschlägen. Zentrales Element ist der „Readiness Test“, den Prof. Gerrit Sames von der Technischen Hochschule Mittelhessen entwickelt hat. Hiermit können sich Betriebe auf den Digitalisierungsgrad ihrer wichtigsten Geschäftsprozesse hin testen und mit anderen, ähnlichen Unternehmen vergleichen. Auf Basis der Testergebnisse, erläutern wir ihnen im Anschluss in einfachen Worten, welche Schritte man gehen müsste, um in dem betreffenden Bereich wettbewerbsfähiger zu werden. Die Tipps, die wir geben, sind aus der Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie sowie aus Forschung und Lehre entstanden und haben zunächst keinen Bezug zu unserem eigenen Portfolio.

MM: Worauf liegt der Fokus?

Ergun: Es stehen bei uns nicht die Hype-Themen wie künstliche Intelligenz und Machine Learning im Vordergrund. Denn die Realität der meisten mittelständischen Betriebe sieht noch ganz anders aus. Hier müssen zunächst Grundlagen gelegt werden. Erst im letzten Schritt der „Digital OR Dead“-Kampagne schlagen wir interessierten Unternehmen konkrete Dienstleistungen oder Technologien vor. Hier haben wir einen Pool von Partnern und Spezialisten gebeten, passende Workshops, Beratungsmodule oder auch Produkte zu schnüren. Auch einige unserer eigenen Angebote sind enthalten.

MM: Wie wichtig ist für mittelständische Unternehmen die Option, Kernsysteme aus der Cloud – etwa als Managed Service – zu beziehen?

Ergun: Wenn ich den aktuellsten Stand der Technologie, die neuesten Datenanbindungen und den Vorteil möglichst geringer Betriebskosten nutzen möchte, komme ich um Cloud-Angebote nicht herum. Diese Einsicht setzt sich auch in unserem adaptionsträgen deutschen Markt zunehmend durch. Auch hier sind übrigens größere Unternehmen schon weiter. Der letzte Bitkom Cloud Monitor* zeigt, dass die Angestellten von Großunternehmen fast fünf Mal eher die Cloud für kritische Anwendungen, Umgebungen oder Workflows nutzen, als die Betriebe mit weniger als 2.000 Beschäftigten.

MM: Gilt das auch für das Thema ERP?

Ergun: Wenn man die Situation in Bezug auf ERP-Systeme betrachtet, sollte ein Unternehmen granular entscheiden können, welche Dienste und Daten aus der Cloud kommen dürfen und welche Bestandteile der Infrastruktur es selbst hosten oder gegebenenfalls als Managed Service aus einer Private Cloud beziehen möchte. abas bietet seinen Kunden aufgrund der hohen Skepsis und Sicherheitsbedenken alle Varianten an. Wir haben in 2018 sogar ein Software Development Kit gelauncht, mit dem Kunden, Partner oder externe Entwickler unsere ERP-Plattform funktionell erweitern können. Der Clou: Diese App kann ein Kunde über den abas Marketplace als Managed Service vom jeweiligen Anbieter beziehen, auch wenn seine ERP-Installation noch on-premise läuft.

MM: Wie lassen sich die anwenderspezifischen Besonderheiten bei einem Managed Service-Ansatz etwa bei einer ERP-Lösung umsetzen?

Ergun: In dem man zunächst die Installation unterteilt in replizierbare Bestandteile und Dienste sowie die unternehmensspezifischen Daten und Konfigurationen. Kunden können bei uns ihre komplette ERP-Installation aus der Cloud beziehen, dafür fällt ein monatlicher abas Flextarif an. Darauf aufbauend liefert der regionale abas VAR Customizing und Support. Einige der VARs sind hier schon sehr weit und bedienen etliche ihrer Kunden mit Managed Services, während andere noch ein eher klassisches Dienstleistungsgeschäft bevorzugen.

MM: Wie wichtig ist es, bei einem ERP aus der Cloud auf die Anwenderwünsche in Bezug auf das Customizing eingehen zu können?

Ergun: In vielen fertigungsnahen Branchen, die in Deutschland mit großer Fertigungstiefe produzieren, differenzieren sich die Unternehmen vor allem über ihre individuellen Geschäftsprozesse. Es wird daher immer die Unternehmen geben, die sehr individuelle Anforderungen an ihre ERP-Organisation und einen hohen Customizing Bedarf haben. Diesen Kunden bieten wir traditionell eines der flexibelsten Werkzeuge am Markt, weil abas ERP per Design die individualisierten Aspekte einer Installation konsequenter vom Systemteil trennt als jede andere ERP-Software. Dadurch bleiben auch äußerst individualisierte Installationen upgrade-fähig. Dennoch sehen wir ein Umdenken in der Branche: Selbst viele große Unternehmen möchten näher an den Standard, allgemein setzt man lieber auf etablierte Best Practices, als zu versuchen, die eigenen, alten Prozesse in neue Software zu gießen. Hier öffnen sich jetzt die Räume für zugeschnittene Branchenpakete.

* PDF Cloud Monitor – www.bitkom-research.de