MIDRANGE 05/2019

18 MIDRANGE AKTUELL MIDRANGE MAGAZIN · 05/2019 Im Interview: Christian Leopoldseder, Asseco Solutions „Wunsch und Realität müssen sich annähern“ Mehr Effizienz, Automatisierung, Bequemlichkeit: Es gibt kaum einen Lebensbereich, den Künstliche Intelligenz nicht auf die eine oder andere Weise revolutionieren soll. Und doch scheint der Weg zum wirklich autonomen Fahrzeug oder intelligenten Pflegeroboter noch immer weit. Das Midrange Magazin (MM) spricht mit Christian Leopoldseder vom ERP-Spe- zialisten Asseco Solutions über zu hohe Erwartungen und realistische Einsatzmöglichkeiten. MM: Wie schätzen Sie die Entwicklung des Themas künstliche Intelligenz ein? Leopoldseder: Sicher wird sich auch unsere Sichtweise auf KI mit der Zeit verändern, denn spiegelbildlich zu je- der Technologie entwickeln sich auch die Erwartungen daran kontinuierlich weiter. Oft ist das, was zunächst fehlt, ein realisierbares, sinnvolles Anwen- dungsszenario. In diesem Kontext ist Industrie 4.0 ein ganz wunderbares Beispiel. Als die Technologie aufkam, träumte die Branche von der vollstän- dig autonomen Fabrik, von Werkstü- cken, die selbstständig den idealsten Weg durch die Fertigungsstraße fin- den. Als sich dies nicht ohne Weiteres realisieren ließ, wurde das Konzept überdacht. Heute steht meist der Predictive-Maintenance-Gedanke im Vordergrund. Er bezieht sich zwar nur auf einen Teilbereich der smarten Fa- brik, lässt sich aber mit überschauba- ren Mitteln umsetzen und bietet einen greifbaren Nutzen. Aus meiner Sicht ist dieser Prozess weniger eine Ernüchte- rung als eine natürliche Weiterentwick- lung: Die technischen Möglichkeiten sowie die damit verbundenen Erwar- tungen nähern sich mit der Zeit immer besser aneinander an. Bei der KI wird dies nicht anders sein. MM: Dann erwarten wir derzeit einfach noch zu viel von künstlicher Intelligenz? Leopoldseder: Bezogen auf den heu- tigen Stand der Technik erwarten wir vielleicht zu viel zu schnell. Meist den- ken wir bei KI ja noch immer an Sys- teme, die einem menschlichen Gehirn nahezu äquivalent sind und genauso kreativ und flexibel auf Neues reagieren können. Gerade hier mangelt es jedoch an Anwendungsszenarien, die heute tatsächlich schon sinnvoll realisierbar wären. Natürlich hat KI zweifellos große Fortschritte gemacht. Man denke nur an die KI, die sich jüngst das japanische Brettspiel Go von Grund auf selbst bei- brachte und menschliche Profis schla- gen kann. Doch eine KI, die Go spielen kann, kann eben nur Go spielen. Stand heute ist KI auf Teilbereiche beschränkt. An diese Gegebenheit müssen wir unse- re Erwartungen – wie auch bei Indust- rie 4.0 – anpassen und geeignete Szena- rien entwickeln. Gerade im Bereich der Geschäftsprozesse etwa bestehen sinn- volle Anwendungsmöglichkeiten, für die schon heute mit Hilfe von KI ein realer Nutzen generiert werden kann. MM: Braucht es dazu wirklich KI? Leopoldseder: Natürlich lassen sich viele bekannte Problemstellungen mit traditionellen Methoden völlig ausrei- chend lösen. Aus meiner Sicht gibt es jedoch zwei Voraussetzungen, unter de- nen der Einsatz von KI zwingend erfor- derlich ist: Zum einen, wenn es darum geht, bisher unbekannte Zusammenhän- ge zu entdecken. Zum anderen, wenn die schiere Menge der Faktoren die Leistungsfähigkeit bestehender Syste- me übersteigt. Ein Beispiel: Möchte ein Unternehmen beispielsweise seine La- gerbestandshaltung optimieren, sehen sich die Verantwortlichen einer hohen Komplexität gegenüber. Die Dispodaten der Artikel werden nicht selten von hun- dert und mehr Parametern beeinflusst. Die möglichen Zusammenhänge poten- zieren sich mit jedem Faktor. In solchen Fällen bedarf es tatsächlich KI, um völlig neue Systematiken zu finden, die durch klassische Analysen niemals hätten ent- wickelt werden können. Dass hier tat- sächlich ein Mehrwert entsteht, zeigen erste Pilotprojekte: In einem konkreten Fall konnte der bisherige Lagerbestand durch KI um mehr als 20 Prozent redu- ziert werden. Christian Leopoldseder, Managing Director Aust- ria bei Asseco Solutions Quelle Asseco Solutions ó

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